Vertrag mit Schutzwirkung für
Dritte: Haftungsmilderung für Dritte ("Wachmann-Fall")
BGH, Urteil v. 7.12.1961 - VII ZR 134/60 (OLG
Düsseldorf)
Fundstelle:
JZ 1962, 570
Amtl. Leitsatz:
Zur Frage, ob sich der Schutzbereich einer in
Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthaltenen Haftungsfreizeichnung
auch auf die Angestellten der begünstigten Partei bezieht.
Zentrales Problem:Im Mittelpunkt der Entscheidung steht die Problematik
des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte. Während dieses Rechtsinstitut
in der ganz überwiegenden Mehrzahl der Fälle dazu dient, (i.d.R.
auf pVV) gestützte vertragliche Ersatzansprüche eines Dritten
gegen eine Vertragspartei zu begründen, geht es im vorliegenden Fall
um den Drittschutz einer Haftungsfreizeichnung zwischen den Vertragsparteien.
Die Argumentation des Gerichts insbesondere zum
durch Auslegung ermittelten Willen des Erklärenden sowie dessen Erkennbarkeit
für den Erklärungsempfänger zeigt auch deutlich, daß
die Rechtsprechung das Institut des Vertrags mit Schutzwirkung für
Dritte letztlich auf eine (ergänzende) Auslegung des jeweiligen Vertrags
stützt. Die wohl h.M. in der Literatur stützt das Rechtsinstitut
heute wohl als auf § 242 BGB bzw. auf dem Vertrauensprinzip
beruhende richterliche Rechtsfortbildung, die bereits gewohnheitsrechtlichen
Charakter haben dürfte (vgl. hierzu nur Medicus BürgR
Rn. 846).
Zu den Ausführungen des Gerichts zum arbeitsrechtlichen
Freistellungsanspruch ist zu beachten, daß die Rechtsprechung im
Bereich der Arbeitnehmerhaftung das Kriterium der Gefahrengeneigtheit
der Tätigkeit mittlerweile aufgegeben hat, vgl. BAG NJW 1995,
210 ff.
Zum Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte
vgl. auch BGHZ 66, 51 (Gemüseblatt-Fall);
BGHZ 127, 378 = NJW 1995, 392 ff; BGH
NJW 1991, 352; BGH NJW 1998, 1059; BGH
NJW 2001, 512; BGH NJW 2001, 514
sowie die Nachweise in der Systematischen
Rechtsprechungssammlung.
Sachverhalt:
Die Kl. macht als Versicherer einen angeblichen
Anspruch ihrer Versicherungsnehmerin (i. f. GmbH) geltend, der nach ihrer
Ansicht gemäß dem § 67 i S. 1 VVG auf sie übergegangen
ist Im Jahre 1957 führte die GmbH auf dem Gelände der Schachtanlage
W. für diese Montagearbeiten aus und stellte dort 2 Mannschafts- und
Gerätewagen auf. Deren Überwachung übertrug sie durch Vertrag
vom 1.8. 1957 dem Arbeitgeber des Bekl., nämlich dem W. (i.f. Wachdienst).
Dessen Geschäftsbedingungen, die auf der Vertragsurkunde verzeichnet
waren, lauteten u.a.:
" Der Wachdienst haftet für Schäden,
welchen durch Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit seiner Angestellten
in Ausübung ihres Dienstes entstehen...
Ausgeschlossen von der Haftung sind Schäden,
die bei der Bedienung und Bewachung von Maschinen, Öfen, Kesseln und
Heizungsvorrichtungen entstehen..."
Der Wachdienst beauftragte mit der Bewachung den
71 Jahre alten Bekl. Dieser hielt sich während seines Dienstes regelmäßig
in dem einen Wagen auf. Darin pflegte nachts ein Ofen zu brennen, um den
Raum für den Bekl. warm zu halten.
Am 7.1.1957 abends teilte der Richtmeister der
GmbH dem Bekl. mit, daß die Arbeiter der GmbH in der Nähe des
Ofens ihre nassen Kleidungsstücke zum Trocknen aufgehängt hätten;
er solle aufpassen, daß nichts anbrenne. Gegen 21 Uhr legte der Bekl.
Steinkohle in den Ofen nach und ging austreten. Als er gegen 22 Uhr zurückkehrte,
brannte der Wagen; er wurde mit dem gesamten Inhalt zerstört.
Die Kl. hat der GmbH den Schaden ersetzt.
Das LG hat den Anträgen der Kl., das OLG
denen des Bekl. stattgegeben.
Die Revision der Kl. blieb erfolglos.
Aus den Gründen:
Das OLG weist die Klage ab, weil es annimmt, daß
sich die zwischen der GmbH und dem Wachdienst vereinbarte Freizeichnung
auch auf den Bekl. erstreckt.
Diese Klausel ist in den "Besonderen Abmachungen"
des Wachdienstes enthalten. Der Senat hat sie, entgegen der von den Parteien
vertretenen Auffassung, frei auszulegen (wird ausgeführt).
Dem Berufungsgericht ist darin zuzustimmen, daß
sich der Wachdienst für Fälle der vorliegenden Art freigezeichnet
hat (wird ausgeführt).
Die Entscheidung hängt also davon ab, ob
der Bekl. in den Schutzbereich der zwischen dem Wachdienst und der GmbH
vereinbarten Freizeichnung einbezogen worden ist. Der Senat hat dies in
Übereinstimmung mit dem OLG bejaht.
Allerdings enthalten die "Besonderen Abmachungen"
keine ausdrücklichen Bestimmungen hierüber. Richtig ist ferner,
daß solche in allgemeinen Geschäftbedingungen enthaltenen Klauseln
eng und im Zweifel gegen den auszulegen sind, der sie abgefaßt hat
und den sie begünstigen sollen. Das ist aber nicht allein entscheidend.
Nicht der Wortlaut der Freizeichnung, sondern ihr dem Vertragsgegner erkennbarer
Sinn und Zweck sind maßgebend. Bestehen insoweit keine Zweifel, so
ist eine entsprechende Ergänzung gemäß dem § 157 BGB
nicht nur zulässig, sondern auch geboten (BGH II ZR209/58 Vertrag.
7.7. 1960. LM AllgGeschBed. Nr. 11).
1. Die Annahme, daß der Wachdienst den Schutz
der Klausel auf seine Angestellten erstrecken wollte, liegt schon deswegen
nahe, weil er dazu auf Grund der ihm obliegenden Fürsorgepflicht gehalten
sein konnte. Er hatte die Aufgabe übernommen, die bewachten Gegenstände
vor Schaden zu bewahren. Dieses Wagnis sah er als so bedeutend an, daß
er glaubte, seine Haftung beschränken zu müssen, und zwar hinsichtlich
der Bewachung und Bedienung von Öfen dergestalt, daß er auch
für grobe Fahrlässigkeit seiner Angestellten nicht einzustehen
hatte. Es wäre nicht zu verstehen, wenn er dieses von ihm erkannte
Risiko zwar von seinen Schultern hätte abwälzen, dagegen seine
Angestellten damit hätte belasten wollen. Sie waren die wirtschaftlich
Schwächeren und noch weniger als ihr Arbeitgeber in der lage, die
Folgen der Versäumnisse zu tragen, die ihnen aus allgemeiner menschlicher
Schwäche unterlaufen konnten. Unter diesen Umständen gebot dem
Wachdienst bereits die ihm obliegende Fürsorgepflicht, seine Arbeitnehmer
in den von ihm für notwendig erachteten Schutz einzubeziehen. Es ist
mangels entgegenstehender Anhaltspunkte anzunehmen, daß er diese
Pflicht mit jener Freizeichnungsklausel erfüllen wollte.
2. Dasselbe Ergebnis folgt aus einer anderen Erwägung.
a) In der Rechtsprechung ist anerkannt, daß
der Arbeitnehmer bei sogen. gefahrgeneigter Tätigkeit vom Arbeitgeber
unter Umständen Freistellung von seiner Ersatzpflicht gegenüber
geschädigten Dritten verlangen darf. Das kann selbst dann in betracht
kommen, wenn der Arbeitnehmer grob fahrlässig gehandelt hat; allerdings
wird dann eine vollständige Befreiung des Arbeitnehmers in der Regel
ausscheiden (u.a. BGHZ 16, 11, 116 ff).
Diese Grundsätze sind hier anwendbar. Zwar
ist die Bewachung eines brennenden Ofens im allgemeinen nicht gerade schwierig.
Die Erfahrung hat aber gelehrt, daß hierbei Schäden keine Seltenheit
sind und daß sie dann ein großes Ausmaß annehmen können.
Deswegen ist die dem Bekl. übertragene Tätigkeit als "gefahrgeneigt"
in dem üblichen Sinne anzusehen.
b) Bei dieser Rechtslage hätte der Wachdienst
das von ihm verfolgte Ziel nicht oder nur unvollständig erreicht,
wenn er den Schutz der Freizeichung nicht auch auf seine Angestellten erstreckt
hätte. Denn wenn diese in Anspruch genommen werden konnten, würden
sie unter Umständen einen Befreiungsanspruch gegen ihren Arbeitgeber
gehabt haben. Das hätte dem Sinn und Zweck der Freizeichnung widersprochen.
Auch aus diesem Grunde ist anzunehmen, daß der Wachdienst, um sein
Ziel zu erreichen, mit der fraglichen Klausel zugleich seine Angestellten
freizeichnen wollte.
c) Die Revision ist der Ansicht, daß sich
aus den oben wiedergegebenen Grundsätzen keine Haftungsbefreiung des
Arbeitnehmers für grobe Fahrlässigkeit herleiten lasse. Denn
in einem solchen Falle brauche ihn der Arbeitgeber nicht freizustellen.
Vorliegend habe der Bekl., so meint sie, grob fahrlässig gehandelt.
Die Rüge hat keinen Erfolg. Bereits ihr Ausgangspunkt
ist nicht richtig; denn auch grobe Fahrlässigkeit des Arbeitnehmers
schließt, wie bereits ausgeführt, nicht die Möglichkeit
aus, daß ihn der Arbeitgeber wenigstens zum Teil von der Haftung
zu befreien hat.
Abgesehen hiervon ist als selbstverständlicher
Wille des Arbeitgebers zu unterstellen, daß eine von ihm auch für
seine Arbeitnehmer vereinbarte Freizeichnug keinen geringeren Umfang haben
soll, als die eigene. Zu diesem Schluß führt schon der Gedanke
der Fürsorgepflicht, wie er oben gekennzeichnet worden ist.
3. Der Wille des Wachdienstes, seine Angestellten
in den Schutz der Freizeichnung einzubeziehen, ist allerdings nur beachtlich,
wenn er dem Vertragsgegner hinreichend erkennbar gewesen ist. Der Senat
hat aber keine Bedenken, die Erkennbarkeit zu bejahen. Die GmbH ist selbst
Arbeitgeberin. Für sie lagen also jene Erwägungen ebenso wie
für alle anderen in ähnlicher Lage befindlichen Auftraggeber
des Wachdienstes, auf der Hand. Es ist auch nicht anzunehmen, daß
ein Vertragsteil, der sich auf so weitgehende Haftungsbeschränkungen
einläßt, wie sie vorliegend vereinbart worden sind, den Willen
hat, zwar den vermögenden Vertragsgegner zu entlasten, dessen wirtschaftlich
schwächeren Angestellten jedoch an der stärkeren Haftung festzuhalten.
4. Mit dieser Beurteilung, die zum Ausschluß
einer Haftung des Bekl. führt, befindet sich der Senat in Übereinstimmung
mit den Entscheidungen des II. ZS des BGH BGHZ 22, 109, 122 f,; LM AllgGeschBed.
Nr. 11. Zwar ist er im Urteil vom 17. 9. 1959 VII ZR 60/58 zu einem anderen
Ergebnis gelangt. Das beruhte aber auf der abweichenden tatsächlichen
Würdigung des damaligen Berufungsgerichts, an die der Senat dort gebunden
war.
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