Keine analoge Anwendbarkeit von § 906 II S. 2 BGB (nachbarrechtlicher Ausgleichanspruch) auf das Verhältnis zwischen (Bruchteils-)Miteigentümern; Streitgegenstand, ne ultra petita (§ 308 ZPO)


BGH, Versäumnisurteil vom 10. Februar 2012 - V ZR 137/11


Fundstelle:

NJW 2012, 2343


Amtl. Leitsatz:

Im Verhältnis von Bruchteilseigentümern, die sich jeweils eine Teilfläche des gemeinschaftlichen Grundstücks zur alleinigen Nutzung zugewiesen haben, finden die Grundsätze zum verschuldensunabhängigen nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB auf Beeinträchtigungen, die von einem Nutzungsbereich auf einen anderen Nutzungsbereich einwirken, keine Anwendung.


Zentrale Probleme:

Der nachbarrechtliche Ausgleichanspruch nach § 906 II BGB ist deshalb so wichtig, weil er in seiner Ausdehnung auf zwar nicht duldungspflichtige, aber faktisch nicht abwehrbare Einwirkungen letztlich einem verschuldensunabhängigen Schadensersatzanspruch gleichkommt (s. dazu die Anm. zu BGH NJW 2004, 775; zur Reichweite s. auch BGH v. 1.2.2008 - V ZR 47/07). Erfasst werden dabei vor allem Grobimmissionen wie etwa Feuer und Wasser (s. auch BGH NJW 2004, 3701: Baumsturz; BGH v. 15.7.2011 - V ZR 277/10: Wasser ). Hier geht es jetzt darum, ob dies auch zwischen Bruchteils-Miteigentümern gilt. Der Senat verneint das (wie schon in BGH NJW 2004, 775 zum Verhältnis zwischen Mietern) mit dem Argument, es fehle an der für eine Analogie vorausgesetzten Vergleichbarkeit der Situation. Es liege keine "Grenzüberschreitung" vor, sondern, da es nur um eine schuldrechtliche Nutzungsregelung unter Miteigentümern geht, um einen Konflikt im Innenverhältnis zwischen den Eigentümern desselben Grundstücks. Der Senat verweist deshalb zurück, damit geklärt werden kann, ob eine verschuldensabhängige Haftung bejaht werden kann. Da eine Nutzungsregelung zwischen Miteigentümern vorliegt, kommt hier nicht nur § 823 I BGB, sondern auch § 280 I BGB in Betracht mit der Folge, dass das Verschulden im Rahmen des letzteren Anspruchs vermutet wird (§ 280 I 2 BGB). Der Beklagte wird sich also entlasten müssen. Zur Anwendung von § 906 II 2 BGB bei Wohnungseigentum s. BGH v. 25.10.2013 - V ZR 230/12.
Nebenbei (s. bei Rn. 5 ff) geht es noch um ein nettes prozessuales Problem: Der Kläger hatte seine Klage mit Schadensersatz begründet (§ 823 I BGB), aber keinen Anspruch nach § 906 II 2 BGB geltend gemacht. Das allein begründet aber keinen Verstoß gegen § 308 ZPO (Antragsgrundsatz, "ne ultra petita", s. dazu auch BGHZ 117,1 ff sowie BGH NJW 1984, 2295 ff). Der Streitgegenstand wird begründet durch den Lebenssachverhalt (hier: Wasserschaden) und den Antrag (hier: das Begehren nach Ersatz dieses Schadens). Dieser sog. "prozessuale Anspruch" ist allein maßgeblich, nicht die materielle Anspruchsgrundlage, die der Kläger geltend macht. Im Verhältnis von § 823 BGB und § 906 II BGB sieht der Senat aber offenbar dennoch zwei unterschiedliche prozessuale Ansprüche. Er legt aber den Antrag des Klägers entsprechend aus und verneint aus diesem Grund einen Verstoß gegen § 308 ZPO.

©sl 2012


Tatbestand:

1 Die Parteien sind - neben weiteren Personen - Miteigentümer nach Bruchteilen eines Hausgrundstücks. Das Haus besteht aus drei Wohnungen, die jeweils bestimmten Miteigentümern zur alleinigen und ausschließlichen Nutzung zugewiesen sind. Die Kläger sind Nutzungsberechtigte einer der beiden Erdgeschoßwohnungen, der Beklagte und seine Ehefrau sowie ein weiteres Ehepaar sind Nutzungsberechtigte zu jeweils 50% der darüber liegenden Dachgeschoßwohnung. Anfang 2010 trat in dieser Wohnung ein Riss am Durchlauferhitzer auf; es drang Wasser in die darunterliegende, von den Klägern genutzte Wohnung ein. Die Kläger verlangen von dem Beklagten Schadensersatz für die beschädigten Hausratsgegenstände. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat den Beklagten zur Zahlung von 7.458,90 € verurteilt, seine Ersatzpflicht für weitere Schäden sowie die Erledigung des Rechtsstreits in Höhe von 1.199,52 € festgestellt und ihn zu einer Auskunft über den Fußbodenaufbau der Dachgeschoßwohnung verurteilt. Mit der Revision möchte der Beklagte eine Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils erreichen.

Entscheidungsgründe:

I.

Nach Auffassung des Berufungsgerichts steht den Klägern in entsprechender Anwendung des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB ein verschuldensunabhängiger nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch gegen den Beklagten zu. Die hierzu entwickelten Grundsätze seien auch auf das Verhältnis von Miteigentümern anzuwenden, denen einzelne Wohnungen zur ausschließlichen Nutzung zugewiesen sind. Die Interessen der jeweils nutzungsberechtigten Miteigentümer seien mit denen von benachbarten Grundstückseigentümern vergleichbar. Daher könne dahinstehen, ob daneben auch ein Schadensersatzanspruch der Kläger wegen schuldhafter Pflichtverletzung oder wegen fahrlässiger Eigentumsbeschädigung bestehe. Allerdings könnten die Kläger nur einen Teil der geltend gemachten Schadenspositionen verlangen, da ihre Forderung übersetzt sei. Der Auskunftsanspruch sei nach § 8 der Gemeinschaftsordnung begründet.

II.

3 Die Kläger waren trotz rechtzeitiger Bekanntmachung im Verhandlungstermin nicht vertreten. Deshalb ist über den Revisionsantrag des Beklagten durch Versäumnisurteil zu entscheiden. Das Urteil beruht jedoch inhaltlich nicht auf einer Säumnisfolge, sondern auf einer Sachprüfung (vgl. Senat, Urteil vom 4. April 1962 - V ZR 110/60, BGHZ 37, 79, 82).

4 Die Revision ist unzulässig, soweit sie sich gegen die Verurteilung des Beklagten zur Auskunft über den Fußbodenaufbau im Dachgeschoß wendet. Das Berufungsgericht hat bezüglich dieses abtrennbaren Teils des Streitgegenstandes die Revision nicht zugelassen (§ 543 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Darüber hinaus fehlt es dem Rechtsmittel insoweit an der vorgeschriebenen Begründung (§ 551 Abs. 3 Nr. 2, § 552 ZPO). Im Übrigen ist die Revision zulässig und begründet. Den Klägern steht gegen den Beklagten ein verschuldensunabhängiger nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB nicht zu.

1. Allerdings hat das Berufungsgericht mit der Zuerkennung eines nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs den Klägern nicht, wie der Beklagte meint, etwas zugesprochen, was sie nicht beantragt haben (§ 308 ZPO).

Auch wenn der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch und der verschuldensabhängige Schadensersatzanspruch prozessual verschiedene Ansprüche sind (Senat, Urteil vom 21. Mai 2010 - V ZR 10/10, BGHZ 185, 371, 374), so wurden doch beide von dem auf Ersatz aller aufgrund des Defekts des Durchlauferhitzers entstandenen und noch entstehenden Schäden gerichteten Klagebegehren erfasst, sind also Streitgegenstände geworden. Dem steht die Tatsache, dass die Klage nicht ausdrücklich auch auf den nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch gestützt worden ist, nicht entgegen. Da der vorgetragene Sachverhalt einen solchen Anspruch von vornherein mit erfasst, liefe eine das Rechtsschutzziel auf die Pflichtverletzung oder unerlaubte Handlung beschränkende Auslegung des Klagebegehrens dem erkennbaren Rechtsschutzwillen der Klägers deutlich zuwider (Senat, Urteil vom 4. Juli 1997 - V ZR 48/96, NJW-RR 1997, 1374). Das Berufungsgericht hat daher rechtsfehlerfrei das Klagebegehren auch unter dem Gesichtspunkt des verschuldensunabhängigen nachbarrechtlichen Ausgleichs geprüft.

7 2. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts finden die Grundsätze zum nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB im Verhältnis von Bruchteilseigentümern eines Hausgrundstücks, die sich jeweils eine Wohnung zur alleinigen Nutzung zugewiesen haben, keine Anwendung.

8 a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, insbesondere des Senats, ist ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB analog gegeben, wenn von einem Grundstück im Rahmen seiner privatwirtschaftlichen Benutzung Einwirkungen auf ein anderes Grundstück ausgehen, die das zumutbare Maß einer entschädigungslos hinzunehmenden Beeinträchtigung überschreiten, sofern der davon betroffene Eigentümer aus besonderen Gründen gehindert war, diese Einwirkungen nach § 1004 Abs. 1 BGB rechtzeitig zu unterbinden (Senat, Urteil vom 11. Juni 1999 - V ZR 377/98, BGHZ 142, 66, 67 f.; Urteil vom 12. Dezember 2003 - V ZR 180/03, BGHZ 157, 188, 189 f.; jeweils mwN). Wie das Berufungsgericht zutreffend annimmt, ist dieser Anspruch über den Wortlaut des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB hinaus nicht auf die Folgen der Zuführung unwägbarer Stoffe beschränkt, sondern erfasst u.a. auch die Störung durch sogenannte Grobimmissionen, wie etwa Wasser (Senat, Urteil vom 12. Dezember 2003 - V ZR 180/03, BGHZ 157,
188, 190
).

9 b) Nach seinem unmittelbaren Anwendungsbereich setzt § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB voraus, dass die Störung von einem anderen Grundstück herrührt (Senat, Urteil vom 12. Dezember 2003 - V ZR 180/03, BGHZ 157, 188, 190), es sich also um einen Eingriff von außen handelt. Hier ist das Wasser aber nicht von einem anderen Grundstück in den befriedeten Bereich der Kläger eingedrungen, sondern lediglich von einem anderen Teil desselben Grundstücks. Analogiefähig ist das Rechtsinstitut des verschuldensunabhängigen nachbarrechtlichen Ausgleichs nur bei struktureller Vergleichbarkeit und nicht anders zu befriedigender Schutzbedürftigkeit (Senat, Urteil vom 12. Dezember 2003 - V ZR 180/03, BGHZ 157, 188, 195; Urteil vom 21. Mai 2010 - V ZR 10/10, BGHZ 185, 371, 376 Rn. 18). Eine analoge Anwendung des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB hat der Senat verneint im Verhältnis von Mietern bei Beeinträchtigungen, die von einer Mietwohnung innerhalb desselben Grundstückseigentums auf eine andere Mietwohnung einwirken (Senat, Urteil vom 12. Dezember 2003 - V ZR 180/03, BGHZ 157, 188), sowie im Verhältnis von Wohnungseigentümern, wenn die Nutzung des Sondereigentums durch einen Mangel am Gemeinschaftseigentum beeinträchtigt wird (Senat, Urteil vom 21. Mai 2010 - V ZR 10/10, BGHZ 185, 371). Offen gelassen hat der Senat, ob ein Ausgleichsanspruch besteht, wenn die Beeinträchtigungen von einem anderen Sondereigentum ausgehen (Senat, aaO).

10 c) Hier geht es nicht um das Verhältnis von Mietern oder Wohnungseigentümern, sondern um das von Bruchteilseigentümern eines Hausgrundstücks, die sich jeweils eine Wohnung zur alleinigen Nutzung zugewiesen haben. In diesem Verhältnis ist eine entsprechende Anwendung des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB nicht gerechtfertigt, da es an der erforderlichen strukturellen Vergleichbarkeit des in dieser Norm geregelten Sachverhalts mit dem hier vorliegenden fehlt.

11 aa) Es kann offen bleiben, ob dies schon daraus folgt, dass zwischen den Bruchteilseigentümern aufgrund der getroffenen Nutzungsvereinbarung - anders als bei Grundstückseigentümern - eine rechtsgeschäftliche Sonderverbindung besteht, die es ihnen ermöglicht, ihre Rechtsbeziehungen bei der Nutzung der zugewiesenen Wohnungen untereinander zu regeln.

12 bb) Jedenfalls fehlt es im Verhältnis von Bruchteilseigentümern eines Hausgrundstücks bei Immissionen, die von einem Nutzungsbereich auf einen anderen einwirken, schon an der in § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB vorausgesetzten Grenzüberschreitung. Zwar geben Miteigentümer, die sich im Wege einer Nutzungsregelung (§ 745 Abs. 2 BGB) die Wohnungen untereinander zur jeweils alleinigen Nutzung zugewiesen haben und diesem schuldrechtlichen Alleinnutzungsrecht durch Eintragung in das Grundbuch (§ 1010 BGB) dingliche Wirkung haben zukommen lassen, zu erkennen, dass sie im Hinblick auf „ihre" Wohnung tatsächlich wie Alleineigentümer der Wohnung angesehen werden sollen (vgl. Senat, Urteil vom 28. September 2007 - V ZR 276/06, BGHZ 174, 20, 22). Eine solche Regelung ändert aber nichts daran, dass es sich lediglich um eine schuldrechtliche Nutzungsvereinbarung handelt, die das gemeinschaftliche Eigentum aller Bruchteilseigentümer an den Wohnungen unberührt lässt. Es besteht somit Identität zwischen dem Grundstückseigentum, von dem die Störung ausgeht, und dem Grundstückseigentum, das beeinträchtigt ist, mit der Folge, dass dieselben Miteigentümer gleichzeitig sowohl auf der Störerseite als auch auf Seiten des beeinträchtigten Grundeigentums stehen. Dies kann einem grenzüberschreitenden Eingriff im Sinne des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB nicht gleichgesetzt werden. Vielmehr handelt es sich um einen Konflikt im Innenverhältnis zwischen den Eigentümern desselben Grundstücks, der eine entsprechende Anwendung der Grundsätze über den verschuldensunabhängigen nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch nicht rechtfertigt.

III.
13 Der Rechtsstreit ist nicht zur Entscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO). In Betracht kommt eine Haftung des Beklagten nach § 280 Abs. 1 BGB oder nach § 823 Abs. 1 BGB. Insoweit bedarf die Sache weiterer Aufklärung. Insbesondere wird das Berufungsgericht zu klären haben, ob der Schaden am Durchlauferhitzer auf ein Einfrieren wegen mangelnder Beheizung der Wohnung zurückzuführen ist.