Inhaltsirrtum: Erklärender erklärt, was er erklären will, verkennt aber die Bedeutung des verwendeten Erklärungszeichens. Beachte die Abgrenzung zur bewußten Unkenntnis bei Erklärungen "tel quel" (BGH NJW 1995, 190).
Erklärungsirrtum: Erklärender benützt ein anderes Erklärungszeichen, als gewollt (Verschreiben etc.). Wichtig ist hier die Abgrenzung zu Fehlleistungen bei der Vorbereitung der Willenserklärung, die lediglich einen unbeachtlichen Motivirrtum darstellen (vgl. z.B. BGH NJW 1998, 3192 = BGHZ 139, 177 "Kalkulationsirrtum"; elektronische Willenserklärungen, vgl. z.B. AG Frankfurt NJW-RR 1990, 116; unrichtig OLG Hamm NJW 1993, 2321).
Übermittlungsirrtum (§ 120): Gilt nur bei unbewußter Falschübermittlung durch den Erklärungsboten. Bei bewußter Falschübermittlung ("Bote ohne Botenmacht", §§ 177 ff analog) nach h.M. keine Bindung des "Erklärenden", weil keine Zurechenbarkeit des Erklärungstatbestands.
Eigenschaftsbegriff: Alle tatsächlichen
und rechtlichen Verhältnisse, die infolge ihrer Beschaffenheit und
Dauer auf die Brauchbarkeit und die Wertschätzung der Person oder
Sache von Einfluß sind. Diese Beziehungen sind aber nur dann rechtserheblich,
wenn sie in der Person oder Sache selbst ihren Grund haben, von ihr ausgehen
und sie kennzeichnen oder näher beschreiben. Nicht: Gemeiner
Wert.
Verkehrswesentlich sind Eigenschaften,
wenn sie nach der Verkehrsanschauung im Hinblick auf das konkrete Geschäft
für wertbildend gehalten werden, wobei das konkrete Geschäfts
teilweise sogar aus der Sicht des Erklärenden gesehen wird, so daß
auch dessen unausgesprochene (untypische) Vorstellungen eine Anfechtung
nach § 119 II ermöglichen können (str.).
Die Anfechtbarkeit ist ein eng auszulegender Sonderfall
des Motivirrtums, der im übrigen unbeachtlich ist, selbst
wenn die Motive bei Vertragsschluß offengelegt werden (vgl. z.B.
BGH NJW 1998, 3192 "Kalkulationsirrtum").
Täuschung i.S.d. § 123 I Alt. 1 ist das Erregen oder Aufrechterhalten eines Irrtums beim Vertragspartner. Die Täuschung muß sich auf Tatsachen beziehen; bloße Werturteile oder Werbeanpreisungen genügen also nicht.
Täuschung durch Unterlassen setzt Aufklärungspflicht voraus: Eine solche Aufklärungspflicht besteht nach Treu und Glauben hinsichtlich solcher Umstände, die für die Willensentscheidung des anderen Teils erkennbar von Bedeutung sind, und über die nach der Verkehrsanschauung Aufklärung auch ohne besondere Frage erwartet wird sowie über solche Umstände, die den Vertragszweck vereiteln oder erheblich gefährden können. Zudem ergeben sich Aufklärungspflichten aus besonderen Vertrauens- und Abhängigkeitsverhältnissen.
Rechtswidrigkeit der Täuschung: Vom Gesetz nicht ausdrücklich gefordert, aber vorausgesetzt. Daher ungeschriebene Ausnahmen möglich bei falschen Antworten auf unzulässige Fragen (aber kein "Recht auf Lüge" ohne vorherige Frage!).
Arglist ist gleichbedeutend mit Vorsatz. Schädigungswille ist nicht erforderlich (auch die Täuschung "in guter Absicht" berechtigt zur Anfechtung, Arg.: Schutzzweck ist die Willensfreiheit"). Auch "Aussagen in's Blaue" sind arglistig (vgl. BGH NJW 1998, 302).
Im Falle "fahrlässiger Täuschung" Ansprüche aus c.i.c. (sehr str., s.u. 9).
Täuschung durch Dritte (§
123 II 1): "Dritter" ist nicht, wer "im Lager" des Erklärungsgegners
steht, insbes. also nicht Vertreter und Verhandlungsgehilfen.
Sonderproblem: Anfechtung der Vertragsübernahme
wg. arglistiger Täuschung (vgl. BGH NJW 1998,
531).
Zum Problem des maßgeblichen Zeitpunkts (kann man noch anfechten, wenn
zwar die Täuschung kausal für die Abgabe der Willenserklärung war,
mittlerweile aber der Anfechtungsgrund weggefallen ist?) s. BGH
NJW 2000, 2894.
Drohung ist die Ankündigung eines
Übels, auf dessen Eintritt sich der Erklärende Einfluß
zuschreibt. Ist letzteres nicht der Fall, liegt eine "Warnung" vor, die
bei Unwahrheit eine Anfechtung wg. arglistiger Täuschung begründen
kann (vgl. BGH NJW-RR 1996, 1281). Der
Bedrohte muß den Erklärungen oder dem Verhalten des Drohenden
entnommen haben, dieser werde dafür sorgen, daß das angedrohte
Übel eintritt, wenn er - der Bedrohte - die Willenserklärung
nicht abgeben sollte. Maßgeblich für die Annahme, es liege eine
ernstzunehmende Drohung vor, ist nicht die Meinung des Drohenden, sondern
allein die Sicht des Bedrohten.
Bloßes Ausnutzen einer Zwangslage ist keine
Drohung, begründet aber u.U. Sittenwidrigkeit nach § 138 I BGB
(vgl. etwa BGH NJW 1988, 2599).
Hauptproblem ist die Widerrechtlichkeit:
Unproblematisch, wenn entweder das Mittel oder
der Zweck widerrechtlich sind. Ist dies nicht der Fall, kann sich die Widerrechtlichkeit
aus einer "Zweck-Mittel-Relation" ergeben: Entscheidend ist dabei,
ob der Drohende ein berechtigtes Interesse an der Erreichung des verfolgten
Zwecks und die Drohung nach Treu und Glauben noch als ein angemessenes
Mittel angesehen werden kann (vgl. etwa BAG NJW
1999, 2059 ff zum Standardfall der Drohung mit einer Strafanzeige).
Entgegen der früheren Rspr. (vgl. etwa BGHZ 25, 211, 223) bedarf es
für die Widerrechtlichkeit keiner subjektiven Elemente (Bewußtsein
der Rechtswidrigkeit). Die Drohung ist also auch dann widerrechtlich, wenn
der Drohende von einem Sachverhalt ausgeht, bei welchem die Drohung nicht
widerrechtlich wäre (arg.: Schutz des in seiner Willensfreiheit Beeinträchtigten
geht vor).
Beachte bei § 119 I BGB die "normativ gefilterte" Kausalität (anders bei § 123 BGB!): Nicht jeder subjektiv kausale, sondern nur ein auch "bei verständiger Würdigung" kausaler Irrtum berechtigt zur Anfechtung.
Empfangsbedürftige Willenserklärung, einseitiges Rechtsgeschäft (Gestaltungsrecht)
Muß erkennen lassen, daß die Erklärung
wegen eines Willensmangels nicht gelten soll. Nicht ausreichend ist also
das bloße Bestreiten der Existenz einer Willenserklärung.
Erklärung ist als Gestaltungsrecht
bedingungsfeindlich.
Bei zweiseitigen Rechtsgeschäften (Verträgen)
ist die Anfechtungserklärung an den Vertragspartner zu richten, §
143 II. Beim Vertrag zugunsten Dritter ist der begünstigte Dritte
Anfechtungsgegner (§ 143 II): Nur er hat Interesse am Vertrag.
Bei einseitigen empfangsbedürftigen Willenserklärungen
muß gegenüber dem Erklärungsgegner angefochten werden (§143
III 1). Bei der Anfechtung der Vertragsübernahme durch den verbleibenden
Teil gegenüber beiden anderen Parteien (BGH
NJW 1998, 531).
Irrtumsanfechtung: Unverzüglich nach Erkenntnis des Irrtums. Setzt Kenntnis voraus, damit ist u.U. auch noch Zeit für rechtliche Beratung beinhaltet. Fristwahrung mit Absendung (beachte: Erklärungsgegner trägt also das Verzögerungsrisiko, nicht jedoch das Empfangsrisiko!).
Täuschung/Drohung: 1 Jahr, Fristbeginn mit Kenntnis der Täuschung (einschl. Arglist!) bzw. Ende der Zwangslage. Fristwahrung mit Zugang. Nach Fristablauf noch Arglisteinrede aus § 853 BGB.
Beachte: Bei mehreren Anfechtungsgründen laufen die Fristen unabhängig voneinander, vgl. etwa BGH NJW-RR 1996, 1281.
Ablauf der 30-Jahresfrist (§§ 121 II,
124 II)
Bestätigung (§ 144): Auch konkludent,
setzt aber Bestätigungswillen voraus, d.h. die Anfechtbarkeit muß
zumindest für möglich gehalten werden.
Mitverschulden oder gar Alleinverschulden
des Anfechtungsberechtigten sind irrelevant, führen jedoch zu einer
durch § 122 BGB nicht begrenzten Haftung aus c.i.c.
Ex tunc-Nichtigkeit der angefochtenen
Willenserklärung, § 142 I BGB: Sämtliche Primär- und
Sekundäransprüche erlöschen, Geleistetes kann über
die Leistungskondiktion (§ 812 I 1 Alt. 1 BGB) zurückgefordert
werden.
Im Zwangsvollstreckungsrecht kann die Anfechtung
im Rahmen der Vollstreckungsgegenklage (§ 767 BGB) eingewendet
werden. Bei der Präklusion nach § 767 II BGB ist nach h.M. in
der Rspr. der Zeitpunkt der Anfechtbarkeit maßgeblich (vgl.
BGHZ 42, 37); a.A. Lit.
Bei in Vollzug gesetzten Arbeits- und Gesellschaftsverträgen
werden die Nichtigkeitsfolgen des § 142 I dahingehend eingeschränkt,
daß die Anfechtung nur ex nunc wirkt, um Rückabwicklungsschwierigkeiten
zu vermeiden (Lehre vom fehlerhaften Arbeits- bzw. Gesellschaftsverhältnis).
Nach h.M. soll die Anfechtung dem Anfechtenden nicht die Möglichkeit geben, sich aus Motiven, die mit dem Anfechtungsgrund nichts zu tun haben und ihrerseits keinen Anfechtungsgrund bieten, von dem wirklich Gewollten loszusagen (Reuerecht = Lossagung von einem bereuten Vertrag). Um ein solches Reuerecht zu vermeiden, gibt die h.M. dem Anfechtungsgegner das auf § 242 BGB gestützte Recht, den Anfechtenden im Falle eines Erklärungs- oder Inhaltsirrtums an dem von ihm wirklich Gewollten festzuhalten.
Wichtige, häufig übersehene Vorschrift! Kenntnis der Anfechtbarkeit = Kenntnis der Nichtigkeit, wichtig etwa für §§ 687 II, 819 I, 892, 932, 989 f.
aus § 122 BGB: Verschuldensunabhängig,
Umfang des Anspruchs: Der Schadensersatzanspruch ist auf das negative Interesse
mit Begrenzung auf das positive Interesse gerichtet. Er umfaßt auch
die Rückgewähr bereits geleisteter Gegenstände und steht
somit neben § 812 I 1 Alt. 1, 818 I, was z.B. beim Untergang des Gegenstandes
(im Gegensatz zu § 818 III) zu Ansprüchen auf Wertersatz nach
§ 251 sowie auf das stellvertretende commodum nach § 281 (Veräußerungserlös!)
führt.
Ausschluß des Anspruchs bei Kenntnis
oder fahrlässiger Unkenntnis des Anfechtungsgegners vom Anfechtungsgrund
(§ 122 II). Darüber hinaus muß es sich der Erklärungsempfänger
nach h.M. auch analog § 254 anrechnen lassen, wenn er den Irrtum ohne
Verschulden veranlaßt hat. Insoweit kann er nicht besser gestellt
werden als der Erklärende, der ebenfalls verschuldensunabhängig
haftet (BGH NJW 1969, 1380).
aus c.i.c.: Bei Verschulden des Erklärenden besteht weiter ein SE-Anspruch des Anfechtungsgegners aus c.i.c.: Keine Begrenzung auf das Erfüllungsinteresse.
aus c.i.c., wenn der Anfechtungsgegner den Irrtum schuldhaft verursacht hat; bei § 123 SE-Anspruch überdies aus § 823 II i.V.m. Schutzgesetz (§ 263 StGB, § 240 StGB, § 253 StGB), § 826 BGB.
Nach h.M. ist neben der Irrtumsanfechtung und insbesondere der Anfechtung wegen arglistiger Täuschung und widerrechtlicher Drohung auch ein gem. § 249 S. 1 BGB auf Vertragsaufhebung gerichteter SE-Anspruch aus c.i.c. gegeben, der in 30 Jahren verjährt. Damit werden §§ 123, 124 BGB in zweifacher Weise "umgangen", weil eine Vertragsaufhebung (wenn auch auf schuldrechtlichem Weg) auch im Falle einer fahrlässigen Täuschung bzw. Aufklärungspflichtsverletzung möglich ist und überdies die Jahresfrist des § 124 BGB nicht gilt. In der Lit. werden deshalb zahlreiche Gegenansichten vertreten (insbes. analoge Anwendung von § 124 BGB auf den Anspruch aus c.i.c.). Der BGH verlangt nach neuester Rechtsprechung für einen Aufhebungsanspruch aus c.i.c. einen Vermögensschaden, d.h. der geschlossene Vertrag muß für den fahrlässig Getäuschten inhaltlich nachteilig gewesen sein, relativiertaber dieses Erfordernis durch eine "subjektiven Schadenseinschlag", d.h. auch bei objektiver Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung kann ein Vertrag aus subjektiven Gründen einen Vermögensschaden darstellen, weil etwa die Gegenleistung für die Zwecke des Schuldners unbrauchbar ist (BGH NJW 1998, 302).
Daneben hat der Getäuschte/Bedrohte aus c.i.c. auch einen Anspruch auf Anpassung des Vertragsinhalts, wenn er nachweist, daß ihm ohne die Täuschung/Drohung der Abschluß eines günstigeren Vertrags gelungen wäre, vgl. BGH NJW 1998, 2900; Lorenz NJW 1999, 1001 f.
Wirknorm ist § 142 I BGB, da
sie als Rechtsfolge die Nichtigkeit der Willenserklärung vorsieht.
Tatbestandsvoraussetzung ist, daß ein "anfechtbares Rechtsgeschäft
angefochten" wird.
In der Anspruchsprüfung könnte also
der erste Satz lauten: "Die Willenserklärung des X könnte
gem. § 142 I BGB als von Anfang an nichtig anzusehen sein. Dies setzt
voraus:..."
Aus § 142 I BGB ergibt sich z.B. folgende logische Gliederung der Probleme:
Str. ist, ob sich im Falle eines Vertrages die Anfechtung unmittelbar gegen den Vertrag richtet (dafür spricht § 142 I BGB, der von einem anfechtbaren "Rechtsgeschäft" spricht) oder gegen die entsprechende Willenserklärung, womit der Vertrag erst mittelbar (durch Wegfall einer Erklärung) betroffen ist (dafür spricht der Wortlaut von § 119 I, wonach Gegenstand der Anfechtbarkeit eine "Willenserklärung" ist). Je nachdem, welcher Ansicht man folgt, ist die Anfechtbarkeit entweder als rechtsvernichtende Einwendung nach dem Zustandekommen des Vertrags zu prüfen: