Anfechtung von Willenserklärungen 
Übersicht über die wichtigsten Klausurprobleme 


 1. Anwendbarkeit der §§ 119 ff.

a) Vorrangige Spezialregeln (Erbrecht -> §§ 1949, 1954 f,1956; 2078 ff: Bei der Testamentsanfechtung weitgehende Beachtlichkeit des Motivirrtums; Familienrecht: § 1314 Nr. 2 - 4
b) (Analoge) Anwendbarkeit auf geschäftsähnliche Handlungen (z.B. Tilgungsbestimmung i.S.v. § 366 I BGB, vgl. BGHZ 106, 163.
c) (Analoge) Anwendbarkeit auf Erklärungen ohne Erklärungsbewußtsein (Rspr., vgl. BGHZ 91, 324 "Sparkassen-Fall").
d) Keine Anwendbarkeit auf Rechtsscheintatbestände mit Erklärungswirkung bei Irrtum über die Bedeutung des Rechtsscheins (z.B. Schweigen auf Bestätigungsschreiben, Duldungsvollmacht, Anscheinsvollmacht) oder bei Erklärungsfiktionen.
e) Konkurrenz von § 119 II BGB zum Gewährleistungsrecht:

      Keine Käuferanfechtung bzgl. von Eigenschaften, die zugleich einen Sachmangel begründen können (vgl. BGH NJW 1979, 160 ff "Mercedes-Fall"; BGHZ 60, 319 "Seegrundstück" zum alten Recht. Zum neuen Recht gilt dasselbe, vgl. etwa Lorenz/Riehm Rn. 573). Bei ausgeschl. Gewährleistung aber auch vorher keine Anfechtung nach § 119 II.
      Keine Verkäuferanfechtung, wenn er sich dadurch der Gewährleistungspflicht entziehen würde. Das setzt aber voraus, daß der Käufer Gewährleistungsansprüche geltend machen will (vgl. RGZ 135, 339 "Ruisdael" sowie insbesondere BGH NJW 1988, 2597 "Duveneck/Leibl", jeweils zum alten Recjt).

      Entsprechendes gilt für das Verhältnis zu miet- und werkvertragsrechtlichen Gewährleistungsregeln.

f) Anfechtung des dinglichen Rechtsgeschäfts:

      Grundsätzlich möglich, i.d.R. fehlt es aber am Anfechtungsgrund, weil der für das sachenrechtliche Rechtsgeschäft erforderliche Minimalkonsens nicht berührt wird. Anders insbes. bei der Anfechtung nach § 123 BGB ("Fehleridentität")

g) Anfechtung nichtiger Rechtsgeschäfte: Nach dem Grundsatz der Doppelwirkung möglich.

2. Zulässigkeit der Anfechtung

a) Keine Anfechtung bei nicht erkennbarem Handeln in fremden Namen, § 164 II BGB.
b) Keine Anfechtung bei Irrtum über das vertragstypische Risiko (Risikogeschäfte).
c) Modifizierte Rechtsfolgen im Gesellschafts- und Arbeitsrecht ("Fehlerhaftes Arbeits- bzw. Gesellschaftsverhältnis): Außerordentliche Kündigung mit ex nunc-Wirkung anstelle der Anfechtung.

3. Anfechtungsgrund

a) Irrtum in der Erklärung (§§ 119 I, 120):

      Inhaltsirrtum: Erklärender erklärt, was er erklären will, verkennt aber die Bedeutung des verwendeten Erklärungszeichens. Beachte die Abgrenzung zur bewußten Unkenntnis bei Erklärungen "tel quel" (BGH NJW 1995, 190).

      Erklärungsirrtum: Erklärender benützt ein anderes Erklärungszeichen, als gewollt (Verschreiben etc.). Wichtig ist hier die Abgrenzung zu Fehlleistungen bei der Vorbereitung der Willenserklärung, die lediglich einen unbeachtlichen Motivirrtum darstellen (vgl. z.B. BGH NJW 1998, 3192 = BGHZ 139, 177 "Kalkulationsirrtum"; elektronische Willenserklärungen, vgl. z.B. AG Frankfurt NJW-RR 1990, 116; unrichtig OLG Hamm NJW 1993, 2321).

      Übermittlungsirrtum (§ 120): Gilt nur bei unbewußter Falschübermittlung durch den Erklärungsboten. Bei bewußter Falschübermittlung ("Bote ohne Botenmacht", §§ 177 ff analog) nach h.M. keine Bindung des "Erklärenden", weil keine Zurechenbarkeit des Erklärungstatbestands. 

b) Eigenschaftsirrtum

      Eigenschaftsbegriff: Alle tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse, die infolge ihrer Beschaffenheit und Dauer auf die Brauchbarkeit und die Wertschätzung der Person oder Sache von Einfluß sind. Diese Beziehungen sind aber nur dann rechtserheblich, wenn sie in der Person oder Sache selbst ihren Grund haben, von ihr ausgehen und sie kennzeichnen oder näher beschreiben. Nicht: Gemeiner Wert.
      Verkehrswesentlich sind Eigenschaften, wenn sie nach der Verkehrsanschauung im Hinblick auf das konkrete Geschäft für wertbildend gehalten werden, wobei das konkrete Geschäfts teilweise sogar aus der Sicht des Erklärenden gesehen wird, so daß auch dessen unausgesprochene (untypische) Vorstellungen eine Anfechtung nach § 119 II ermöglichen können (str.).
      Die Anfechtbarkeit ist ein eng auszulegender Sonderfall des Motivirrtums, der im übrigen unbeachtlich ist, selbst wenn die Motive bei Vertragsschluß offengelegt werden (vgl. z.B. BGH NJW 1998, 3192 "Kalkulationsirrtum").

c) Arglistige Täuschung (§ 123 I 1. Alt.)

      Täuschung i.S.d. § 123 I Alt. 1 ist das Erregen oder Aufrechterhalten eines Irrtums beim Vertragspartner. Die Täuschung muß sich auf Tatsachen beziehen; bloße Werturteile oder Werbeanpreisungen genügen also nicht.

      Täuschung durch Unterlassen setzt Aufklärungspflicht voraus: Eine solche Aufklärungspflicht besteht nach Treu und Glauben hinsichtlich solcher Umstände, die für die Willensentscheidung des anderen Teils erkennbar von Bedeutung sind, und über die nach der Verkehrsanschauung Aufklärung auch ohne besondere Frage erwartet wird sowie über solche Umstände, die den Vertragszweck vereiteln oder erheblich gefährden können. Zudem ergeben sich Aufklärungspflichten aus besonderen Vertrauens- und Abhängigkeitsverhältnissen.

      Rechtswidrigkeit der Täuschung: Vom Gesetz nicht ausdrücklich gefordert, aber vorausgesetzt. Daher ungeschriebene Ausnahmen möglich bei falschen Antworten auf unzulässige Fragen (aber kein "Recht auf Lüge" ohne vorherige Frage!).

      Arglist ist gleichbedeutend mit Vorsatz. Schädigungswille ist nicht erforderlich (auch die Täuschung "in guter Absicht" berechtigt zur Anfechtung, Arg.: Schutzzweck ist die Willensfreiheit"). Auch "Aussagen in's Blaue" sind arglistig (vgl. BGH NJW 1998, 302).

       Im Falle "fahrlässiger Täuschung" Ansprüche aus c.i.c. (sehr str., s.u. 9).

      Täuschung durch Dritte (§ 123 II 1): "Dritter" ist nicht, wer "im Lager" des Erklärungsgegners steht, insbes. also nicht Vertreter und Verhandlungsgehilfen.

      Sonderproblem: Anfechtung der Vertragsübernahme wg. arglistiger Täuschung (vgl. BGH NJW 1998, 531).

      Zum Problem des maßgeblichen Zeitpunkts (kann man noch anfechten, wenn zwar die Täuschung kausal für die Abgabe der Willenserklärung war, mittlerweile aber der Anfechtungsgrund weggefallen ist?) s. BGH NJW 2000, 2894

d) Widerrechtliche Drohung (§ 123 I 2. Alt.)

      Drohung ist die Ankündigung eines Übels, auf dessen Eintritt sich der Erklärende Einfluß zuschreibt. Ist letzteres nicht der Fall, liegt eine "Warnung" vor, die bei Unwahrheit eine Anfechtung wg. arglistiger Täuschung begründen kann (vgl. BGH NJW-RR 1996, 1281). Der Bedrohte muß den Erklärungen oder dem Verhalten des Drohenden entnommen haben, dieser werde dafür sorgen, daß das angedrohte Übel eintritt, wenn er - der Bedrohte - die Willenserklärung nicht abgeben sollte. Maßgeblich für die Annahme, es liege eine ernstzunehmende Drohung vor, ist nicht die Meinung des Drohenden, sondern allein die Sicht des Bedrohten.
      Bloßes Ausnutzen einer Zwangslage ist keine Drohung, begründet aber u.U. Sittenwidrigkeit nach § 138 I BGB (vgl. etwa BGH NJW 1988, 2599).

      Hauptproblem ist die Widerrechtlichkeit:

      Unproblematisch, wenn entweder das Mittel oder der Zweck widerrechtlich sind. Ist dies nicht der Fall, kann sich die Widerrechtlichkeit aus einer "Zweck-Mittel-Relation" ergeben: Entscheidend ist dabei, ob der Drohende ein berechtigtes Interesse an der Erreichung des verfolgten Zwecks und die Drohung nach Treu und Glauben noch als ein angemessenes Mittel angesehen werden kann (vgl. etwa BAG NJW 1999, 2059 ff zum Standardfall der Drohung mit einer Strafanzeige). Entgegen der früheren Rspr. (vgl. etwa BGHZ 25, 211, 223) bedarf es für die Widerrechtlichkeit keiner subjektiven Elemente (Bewußtsein der Rechtswidrigkeit). Die Drohung ist also auch dann widerrechtlich, wenn der Drohende von einem Sachverhalt ausgeht, bei welchem die Drohung nicht widerrechtlich wäre (arg.: Schutz des in seiner Willensfreiheit Beeinträchtigten geht vor). 

4. Kausalität des Anfechtungsgrundes

    Beachte bei § 119 I BGB die "normativ gefilterte" Kausalität (anders bei § 123 BGB!): Nicht jeder subjektiv kausale, sondern nur ein auch "bei verständiger Würdigung" kausaler Irrtum berechtigt zur Anfechtung.

5. Anfechtungserklärung (§ 143 I)

    Empfangsbedürftige Willenserklärung, einseitiges Rechtsgeschäft (Gestaltungsrecht)

a) Inhalt

Muß erkennen lassen, daß die Erklärung wegen eines Willensmangels nicht gelten soll. Nicht ausreichend ist also das bloße Bestreiten der Existenz einer Willenserklärung.
Erklärung ist als Gestaltungsrecht bedingungsfeindlich.

b) Adressat

      Bei zweiseitigen Rechtsgeschäften (Verträgen) ist die Anfechtungserklärung an den Vertragspartner zu richten, § 143 II. Beim Vertrag zugunsten Dritter ist der begünstigte Dritte Anfechtungsgegner (§ 143 II): Nur er hat Interesse am Vertrag.
      Bei einseitigen empfangsbedürftigen Willenserklärungen muß gegenüber dem Erklärungsgegner angefochten werden (§143 III 1). Bei der Anfechtung der Vertragsübernahme durch den verbleibenden Teil gegenüber beiden anderen Parteien (BGH NJW 1998, 531).

6. Anfechtungsfrist (§§ 121 bzw. 124)

    Irrtumsanfechtung: Unverzüglich nach Erkenntnis des Irrtums. Setzt Kenntnis voraus, damit ist u.U. auch noch Zeit für rechtliche Beratung beinhaltet. Fristwahrung mit Absendung (beachte: Erklärungsgegner trägt also das Verzögerungsrisiko, nicht jedoch das Empfangsrisiko!).

    Täuschung/Drohung: 1 Jahr, Fristbeginn mit Kenntnis der Täuschung (einschl. Arglist!) bzw. Ende der Zwangslage. Fristwahrung mit Zugang. Nach Fristablauf noch Arglisteinrede aus § 853 BGB.

    Beachte: Bei mehreren Anfechtungsgründen laufen die Fristen unabhängig voneinander, vgl. etwa BGH NJW-RR 1996, 1281.

7. Kein Ausschluß der Anfechtung (§§ 121 II, 144)

    Ablauf der 10-Jahresfrist (§§ 121 II, 124 II)
    Bestätigung (§ 144): Auch konkludent, setzt aber Bestätigungswillen voraus, d.h. die Anfechtbarkeit muß zumindest für möglich gehalten werden.
    Mitverschulden oder gar Alleinverschulden des Anfechtungsberechtigten sind irrelevant, führen jedoch zu einer durch § 122 BGB nicht begrenzten Haftung aus c.i.c.

8. Wirkungen der Anfechtung

a) Bezogen auf das Rechtsgeschäft

      Ex tunc-Nichtigkeit der angefochtenen Willenserklärung, § 142 I BGB: Sämtliche Primär- und Sekundäransprüche erlöschen, Geleistetes kann über die Leistungskondiktion (§ 812 I 1 Alt. 1 BGB) zurückgefordert werden.
      Im Zwangsvollstreckungsrecht kann die Anfechtung im Rahmen der Vollstreckungsgegenklage (§ 767 BGB) eingewendet werden. Bei der Präklusion nach § 767 II BGB ist nach h.M. in der Rspr. der Zeitpunkt der Anfechtbarkeit maßgeblich (vgl. BGHZ 42, 37); a.A. Lit.
      Bei in Vollzug gesetzten Arbeits- und Gesellschaftsverträgen werden die Nichtigkeitsfolgen des § 142 I dahingehend eingeschränkt, daß die Anfechtung nur ex nunc wirkt, um Rückabwicklungsschwierigkeiten zu vermeiden (Lehre vom fehlerhaften Arbeits- bzw. Gesellschaftsverhältnis).

b) Ausschluß des Reuerechts

      Nach h.M. soll die Anfechtung dem Anfechtenden nicht die Möglichkeit geben, sich aus Motiven, die mit dem Anfechtungsgrund nichts zu tun haben und ihrerseits keinen Anfechtungsgrund bieten, von dem wirklich Gewollten loszusagen (Reuerecht = Lossagung von einem bereuten Vertrag). Um ein solches Reuerecht zu vermeiden, gibt die h.M. dem Anfechtungsgegner das auf § 242 BGB gestützte Recht, den Anfechtenden im Falle eines Erklärungs- oder Inhaltsirrtums an dem von ihm wirklich Gewollten festzuhalten.

c) Kenntnis der Anfechtbarkeit (§ 142 II)

      Wichtige, häufig übersehene Vorschrift! Kenntnis der Anfechtbarkeit = Kenntnis der Nichtigkeit, wichtig etwa für §§ 687 II, 819 I, 892, 932, 989 f BGB.

d) Schadensersatzanspruch des Anfechtungsgegners

      Aus § 122 BGB: Verschuldensunabhängig, Umfang des Anspruchs: Der Schadensersatzanspruch ist auf das negative Interesse mit Begrenzung auf das positive Interesse gerichtet. Er umfaßt auch die Rückgewähr bereits geleisteter Gegenstände und steht somit neben § 812 I 1 Alt. 1, 818 I, was z.B. beim Untergang des Gegenstandes (im Gegensatz zu § 818 III) zu Ansprüchen auf Wertersatz nach § 251 sowie auf das stellvertretende commodum nach § 281 (Veräußerungserlös!) führt.
      Ausschluß des Anspruchs bei Kenntnis oder fahrlässiger Unkenntnis des Anfechtungsgegners vom Anfechtungsgrund (§ 122 II). Darüber hinaus muß es sich der Erklärungsempfänger nach h.M. auch analog § 254 anrechnen lassen, wenn er den Irrtum ohne Verschulden veranlaßt hat. Insoweit kann er nicht besser gestellt werden als der Erklärende, der ebenfalls verschuldensunabhängig haftet (BGH NJW 1969, 1380).

      Aus c.i.c.: Bei Verschulden des Erklärenden besteht weiter ein SE-Anspruch des Anfechtungsgegners aus c.i.c.: Keine Begrenzung auf das Erfüllungsinteresse.

e) Schadensersatzanspruch des Anfechtenden

      Aus c.i.c., wenn der Anfechtungsgegner den Irrtum schuldhaft verursacht hat; bei § 123 SE-Anspruch überdies aus § 823 II i.V.m. Schutzgesetz (§ 263 StGB, § 240 StGB, § 253 StGB), § 826 BGB.

9. Komplementäre Rechtsinstitute

a) Vertragsaufhebung wg. c.i.c. (§§ 280 I, 311 II, 241 II, 249 S. 1 BGB)

      Nach h.M. ist neben der Irrtumsanfechtung und insbesondere der Anfechtung wegen arglistiger Täuschung und widerrechtlicher Drohung auch ein gem. § 249 S. 1 BGB auf Vertragsaufhebung gerichteter SE-Anspruch aus c.i.c. (§§ 280 I, 311 II, 241 II BGB) gegeben, der in 3 Jahren verjährt. Damit werden §§ 123, 124 BGB in zweifacher Weise "umgangen", weil eine Vertragsaufhebung (wenn auch auf schuldrechtlichem Weg) auch im Falle einer fahrlässigen Täuschung bzw. Aufklärungspflichtsverletzung möglich ist und überdies die Jahresfrist des § 124 BGB nicht gilt. In der Lit. werden deshalb zahlreiche Gegenansichten vertreten (insbes. analoge Anwendung von § 124 BGB auf den Anspruch aus c.i.c.). Der BGH verlangte vor der Kodifizierung der c.i.c. im Zuge der Schuldrechtsreform für einen Aufhebungsanspruch aus c.i.c. einen Vermögensschaden, d.h. der geschlossene Vertrag muß für den fahrlässig Getäuschten inhaltlich nachteilig gewesen sein, relativiertaber dieses Erfordernis durch eine "subjektiven Schadenseinschlag", d.h. auch bei objektiver Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung kann ein Vertrag aus subjektiven Gründen einen Vermögensschaden darstellen, weil etwa die Gegenleistung für die Zwecke des Schuldners unbrauchbar ist (BGH NJW 1998, 302). Nunmehr dürfte allerdings durch die Formulierung von § 241 II BGB ("Interessen") klar sein, daß der Schutzumfang der c.i.c. auch die Freiheit der Willensbestimmung umfaßt, so daß das Erfordernis eines Vermögensschadens nicht aufrechterhalten werden kann.

b) Vertragsanpassung wg. c.i.c.

      Daneben hat der Getäuschte/Bedrohte aus c.i.c. auch einen Anspruch auf Anpassung des Vertragsinhalts, wenn er nachweist, daß ihm ohne die Täuschung/Drohung der Abschluß eines günstigeren Vertrags gelungen wäre, vgl. BGH NJW 1998, 2900; Lorenz NJW 1999, 1001 f.

10. Prüfungsreihenfolge in der Klausur:

a) Prüfung der Anfechtung

      Wirknorm ist § 142 I BGB, da sie als Rechtsfolge die Nichtigkeit der Willenserklärung vorsieht. Tatbestandsvoraussetzung ist, daß ein "anfechtbares Rechtsgeschäft angefochten" wird.
      In der Anspruchsprüfung könnte also der erste Satz lauten: "Die Willenserklärung des X könnte gem. § 142 I BGB als von Anfang an nichtig anzusehen sein. Dies setzt voraus:..."

       Aus § 142 I BGB ergibt sich z.B. folgende logische Gliederung der Probleme:

       

      1. Zulässigkeit der Anfechtung (Konkurrenzen)

      2. Anfechtungsgrund

        1. Irrtum über Inhalt und Erklärung (§119 I BGB)

          1. Irrtum: unbewußtes Auseinanderfallen von Wille und Erklärung

          2. Kausalität zwischen Irrtum und Inhalt der Erklärung

          3. Erheblichkeit

        2. Irrtum über wesentliche Eigenschaften (§ 119 II BGB)

          1. Anwendbarkeit (Konkurrenz insbes. zu §§ 459 ff BGB)

          2. Irrtum über die Eigenschaft einer Person oder "Sache" (Eigenschaftsbegriff)

          3. Verkehrswesentlichkeit der Eigenschaft

          4. Kausalität

        3. Unrichtige Übermittlung (§ 120 BGB)

          1. Einschaltung eines Übermittlungsboten

          2. Unbewußte unrichtige Übermittlung

          3. Erheblichkeit

        4. Arglistige Täuschung (§ 123 BGB)

          1. Täuschung

          2. Irrtum

          3. Kausalität zwischen Täuschung, Irrtum und Abgabe der Willenserklärung

          4. Arglist

        5. Widerrechtliche Drohung (§ 123 BGB)

          1. Drohung

          2. Kausalität zwischen Drohung und Abgabe der Willenserklärung

          3. Vorsatz

          4. Widerrechtlichkeit

      3. Anfechtungserklärung § 143 BGB

        1. Inhalt

        2. Adressat

      4. Anfechtungsfrist (§§ 121, 124 BGB)

      5. Kein Ausschluß der Anfechtung (§ 144 BGB)

b) "Einbau" der Anfechtung in den Anspruchsaufbau

      Str. ist, ob sich im Falle eines Vertrages die Anfechtung unmittelbar gegen den Vertrag richtet (dafür spricht § 142 I BGB, der von einem anfechtbaren "Rechtsgeschäft" spricht) oder gegen die entsprechende Willenserklärung, womit der Vertrag erst mittelbar (durch Wegfall einer Erklärung) betroffen ist (dafür spricht der Wortlaut von § 119 I, wonach Gegenstand der Anfechtbarkeit eine "Willenserklärung" ist). Je nachdem, welcher Ansicht man folgt, ist die Anfechtbarkeit entweder als rechtsvernichtende Einwendung nach dem Zustandekommen des Vertrags zu prüfen:

       

      1. Anspruch entstanden?

        1. Angebot

        2. Annahme

      2. Anspruch rückwirkend erloschen durch Anfechtung (§ 142 I)?

      oder aber als rechtshindernde Einwendung bei der jeweiligen Willenserklärung (je nach Konstellation bei Angebot oder/und Annahme) zu prüfen:

       

      1. Anspruch entstanden?

        1. Angebot

          1. Erklärung

          2. Nichtigkeit nach erfolgter Anfechtung (§ 142 I)?

        2. Annahme

          1. Erklärung

          2. Nichtigkeit nach erfolgter Anfechtung (§ 142 I)?