Objektiver Fehlerbegriff
(§ 434 I S. 2 BGB); Konkurrenz von kaufrechtlicher Gewährleistung (§ 437
BGB) und culpa in contrahendo (§§ 280 I, 311 II, 241 II BGB) nach
"neuem" Schuldrecht
BGH, Urteil vom 27. März
2009 - V ZR 30/08
Fundstelle:
NJW 2009, 2120
BGHZ 180, 205
s. auch BGH v. 12.11.2010 - V ZR 181/09
(Fortsetzung des Falles)
Amtl. Leitsatz:
a) Baustoffe, die bei
der Errichtung eines Wohnhauses gebräuchlich waren, später aber als
gesundheitsschädlich erkannt worden sind, können einen Mangel der Kaufsache
begründen, der ungefragt zu offenbaren ist; Fragen des Vertragspartners
müssen vollständig und richtig beantwortet werden.
b) Ansprüche wegen Verschuldens bei Vertragschluss sind im Sachbereich der
§§ 434 ff. BGB nach Gefahrübergang grundsätzlich ausgeschlossen; das gilt
jedoch zumindest dann nicht, wenn der Verkäufer den Käufer über die
Beschaffenheit der Sache arglistig getäuscht hat.
Zentrale Probleme:
Eine grundlegende, zu Recht für BGHZ vorgesehene
Entscheidung zum "neuen" Kaufrecht: Es geht um das schon unter dem früheren
Recht str. Problem der Konkurrenz von Gewährleistung und c.i.c.: Kann der
etwa über das Vorliegen eines Sachmangels getäuschte Käufer neben den
kaufrechtlichen Rechtsbehelfen auch aus c.i.c. vorgehen und so auf
schadensrechtlichem Weg Vertragsaufhebung oder Reduzierung des Kaufpreises
zu verlangen (zu diesen Rechtsfolgen s. die Anm. zu
BGHZ 168, 35;
BGH NJW 1998, 302;
BGH
NJW 1998, 898;
BGH NJW 2001, 2875).
Damit kann insbesondere der Vorrang der Nacherfüllung umgangen werden, weil
dann - anders als nach §§ 437 Nr. 2, 323, 441 BGB eine Fristsetzung nicht
mehr erforderlich ist. Auch die Verjährung ist unterschiedlich Zur
Diskussion vor 2002 s. BGH
NJW 1990, 1658;
BGH
NJW 1991, 1673 ff;
BGH
NJW 1992, 2564;
BGH NJW 1997, 3227 ff;
BGH
NJW 1999,1404;
BGH
NJW 1999, 3192;
BGH NJW
2003, 2824). Die wohl h.M. steht dabei auf
folgendem Standpunkt: Vor Vertragsschluß hat der Verkäufer aus dem
Schuldverhältnis der Vertragsanbahnung aus §§ 311 II, 241 II Wahrheits- und
Aufklärungspflichten. Sofern sich diese Pflichten auf Umstände beziehen, die
zugleich einen Sachmangel darstellen (z.B. der Verkäufer verschweigt
fahrlässig das Vorliegen eines Aufklärungspflichtigen Mangels oder macht
fahrlässig positive Falschangaben über Beschaffenheiten der Kaufsache),
könnte der Käufer wiederum durch einen auf Vertragsaufhebung oder
Reduzierung des Kaufpreises gerichteten Schadensersatzanspruch aus c.i.c.
die besonderen Voraussetzungen und Schranken des Gewährleistungsrechts
unterlaufen. Ansprüche wegen fahrlässiger Verletzung von
vorvertraglichen Beratungspflichten, die sich auf (mögliche)
Beschaffenheiten der Kaufsache beziehen, seien daher vom
Gewährleistungsrecht verdrängt. Beziehen sie sich hingegen auf andere
Umstände, die nicht Gegenstand einer Beschaffenheitsvereinbarung sein
können, ist die Geltendmachung solcher Ansprüche möglich. Manche Autoren
schließen die Haftung aus c. i. c. dann nicht aus, wenn die betr.
Beschaffenheit im konkreten Fall nicht vereinbart wurde (so etwa Canaris,
der dann jedoch für die Verjährung § 438 analog anwenden will, s. bei
Tz. 18). Eine in der Literatur vertretene
Gegenmeinung will die Haftung wegen vorvertraglicher
Aufklärungspflichtverletzung hingegen uneingeschränkt, d.h. auch im Falle
bloßer Fahrlässigkeit neben den §§ 434 ff. zulassen. Sie begründet dies zum
einen mit den unterschiedlichen Haftungsvoraussetzungen (hier: Haftung für
vorvertragliches Verschulden, dort: vertragliche Haftung ohne Verschulden),
zum anderen mit der Verschiedenartigkeit der Schutzzwecke beider
Rechtsinstitute (hier: Schutz enttäuschten Vertrauens, dort: Schutz des
Äquivalenzinteresses). Ansprüche aus c.i.c. wurden im Falle von Vorsatz
aber immer zugelassen, weil der vorsätzlich handelnde Verkäufer nicht
schutzwürdig sei.
Bisher gab es zum neuen Schuldrecht nur instanzgerichtliche Entscheidungen,
die im Sinne der h.M. entschieden haben, s.
OLG Hamm
ZGS 2003, 394; OLG
Düsseldorf ZGS 2004, 271; OLG Köln NJW
2005, 166). Der III. Senat hatte das Problem
kürzlich noch offengelassen (BGH v. 17.1.2008 -
III ZR 224/06). Nunmehr entscheidet der V. Senat i.S.v der
h.M., läßt aber einige Detailfragen, insbesondere die geschilderte Ansicht
von Canaris, offen (s. bei Tz. 19 ff). Die entscheidenden
Argumente finden sich bei Tz. 22. Fraglich ist allerdings
die Aussage bei Tz. 25, wonach die Haftung aus c.i.c. eine
Täuschung durch aktives Tun voraussetzen soll. Auch hier ist m.E. eine
arglistige Täuschung durch Unterlassen vollkommen ausreichend. Sie setzt
freilich eine Aufklärungspflicht voraus. Zutreffend ist allerdings (und
vielleicht ist die Passage so zu verstehen), daß unabhängig vom Bestehen
einer Aufklärungspflicht eine unrichtige Antwort auf eine Frage immer eine
Täuschung durch aktives Tun darstellt und es daher auf das Bestehen einer
Aufklärungspflicht nicht ankommt. Fragen müssen zwar nicht beantwortet
werden, wenn eine Antwort erfolgt, muß sie aber zutreffen. Zum objektiven
Fehlerbegriff s. auch BGH NJW 2009, 2056.
S. dazu auch
BGH NJW 2010, 858 sowie die Fortsetzung des Falles in
BGH v. 12.11.2010 - V ZR 181/09.
S. auch BGH v. 2.11.2010 -
VIII ZR 287/09 sowie
BGH v. 16.3.2012 - V ZR 18/11. Zur
Konkurrenzfrage s. auch BGH v. 30.11.2012 - V
ZR 25/12 sowie
BGH v. 19.1.2018 - V ZR 256/16 .
©sl 2009
Tatbestand:
1 Mit notariellem Vertrag vom 4. Oktober 2006 kauften die
Kläger von den Beklagten für 85.000 € ein Hausgrundstück unter Ausschluss
der „Gewähr für Fehler und Mängel“. Das Wohngebäude war im Jahr 1980 in
Fertigbauweise errichtet worden. Den Beklagten war vor dem Vertragsschluss
bekannt, dass in der Fassade Asbestzementplatten verarbeitet wurden. Sie
teilten dies den Klägern jedoch nicht mit, obwohl zuvor ein Kaufinteressent
wegen der Asbestbelastung von seinen Kaufabsichten abgerückt war. Nach der
Übergabe forderten die Kläger die Beklagten erfolglos auf, die Fassade im
Wege der Nacherfüllung zu sanieren.
2 Die Kläger verlangen nunmehr Schadensersatz in Höhe von 38.455,34 € sowie
die Feststellung, dass die Beklagten zum Ersatz weiterer Sanierungskosten
verpflichtet sind. In dem (einzigen) Termin zur mündlichen Verhandlung vor
dem Landgericht haben sie erstmals behauptet und unter Beweis gestellt, der
Beklagte zu 1 habe vor Vertragsschluss auf Nachfrage des Klägers zu 1
wahrheitswidrig behauptet, er wisse nicht, aus welchem Material die Fassade
sei. Dieses Vorbringen haben die Beklagten bestritten.
3 Die Klage ist in beiden Vorinstanzen erfolglos geblieben. Mit der von dem
Senat zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihre Ansprüche weiter. Die
Beklagten beantragen die Zurückweisung des Rechtsmittels.
Entscheidungsgründe:
I.
4 Das Berufungsgericht meint, die Kläger könnten von den Beklagten nicht
nach §§ 437 Nr. 3, 280, 281 BGB Schadensersatz in Höhe der Kosten einer
Asbestsanierung verlangen. Die Verkleidung der Außenwände des Gebäudes mit
Asbestzementplatten stelle schon keinen Sachmangel dar, der Gegenstand einer
Offenbarungspflicht hätte sein können. Die Nutzung des Hauses zu Wohnzwecken
werde nicht beeinträchtigt. Als Erwerber eines älteren Fertighauses hätten
die Kläger mit einer Asbestbelastung rechnen müssen. Auf die von den Klägern
behauptete Nachfrage nach dem Material der Fassade und die darauf von dem
Beklagten zu 1 gegebene Antwort komme es nicht an. Ein
Schadensersatzanspruch aus Verschulden bei Vertragsschluss (§ 280 i.V.m. §
311 Abs. 2 Nr. 1 BGB) scheide aus. Nach Gefahrübergang bildeten die
Vorschriften der §§ 434 ff. BGB eine abschließende Sonderregelung, soweit es
um Merkmale der Sache gehe, die - wie hier die Freiheit von Asbest - einer
Beschaffenheitsvereinbarung zugänglich seien.
II.
5 Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen
Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
6 1. Die Verneinung von Ansprüchen nach §§ 437 Nr. 3, 280, 281 BGB hält
einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Baustoffe, die bei
der Errichtung eines Wohnhauses gebräuchlich waren, später aber als
gesundheitsschädlich erkannt worden sind, können einen
offenbarungspflichtigen Mangel der Kaufsache begründen.
7 a) Bei der Beantwortung der Frage, ob ein Sachmangel vorliegt, kommt es
nicht auf das Baujahr des verkauften Hauses (hier 1980) an. Entscheidend
ist vielmehr - wenn die Vertragsparteien wie hier keine
Beschaffenheitsvereinbarung im Sinne von § 434 Abs. 1 Satz 1 BGB getroffen
haben -, ob der Rechtsverkehr im Zeitpunkt des Vertragsschlusses (hier 2006)
ein älteres Wohnhaus, dessen Fassade aus Asbestzementplatten besteht, als
uneingeschränkt geeignet ansieht für die gewöhnliche bzw. die nach dem
Vertrag vorausgesetzte Verwendung (§ 434 Abs. 1 Satz 2 BGB).
8 Ob der bei Errichtung eines Gebäudes übliche oder als unbedenklich
angesehene Einsatz bestimmter Techniken oder Materialien aufgrund des
technischen Fortschritts oder besserer wissenschaftlicher Erkenntnisse zur
Bewertung der Kaufsache als mangelhaft führt, kann nicht schematisch für
alle Fälle gleichermaßen beantwortet werden. Dazu sind die möglichen
Sachverhaltskonstellationen - auch in ihren Auswirkungen - zu vielgestaltig.
So kommt es etwa bei Altbauten mit Feuchtigkeitsschäden auf die Umstände des
Einzelfalles an (Senat, Urt. v. 7. November 2008, V ZR 138/07, Rdn. 13,
juris, m.w.N.; vgl. auch Senat, Urt. v. 16. Juni 1989, V ZR 74/88, Rdn. 17,
juris), weil die Verwendbarkeit der Sache je nach Art und Ausmaß der
Feuchtigkeitserscheinungen unterschiedlich in Mitleidenschaft gezogen wird
und der Rechtsverkehr bei älteren Häusern von vornherein nicht die heute
gültigen Trockenheitsstandards erwartet. Demgegenüber ist das Vorliegen
eines offenbarungspflichtigen Mangels bei der Kontaminierung eines
Grundstücks mit sog. Altlasten, deren Gefährdungspotential ursprünglich als
nicht gegeben oder nur als geringfügig eingestuft, nunmehr aber als
gravierend erkannt worden ist, zumindest in der Regel anzunehmen (vgl.
Senat, Urt. v. 20. Oktober 2000, V ZR 285/99, NJW 2001, 64; Krüger in
Krüger/Hertel, Der Grundstückskauf, 9. Aufl., Rdn. 213; vgl. auch BGH, Urt.
v. 19. März 1992, III ZR 16/90, NJW 1992, 1953, 1954 f.). Insoweit besteht
zwar eine Gemeinsamkeit mit dem Einsatz von Baumaterialien, die ein
gravierendes gesundheitsschädigendes Potential aufweisen. Das gilt umso
mehr, wenn diese Materialien Stoffe enthalten, die selbst in geringen Dosen
karzinogen wirken. Andererseits gilt es dem Umstand Rechnung zu tragen, dass
selbst Baustoffe mit bedenklichen Inhaltsstoffen je nach der Art ihrer
Verwendung und Nutzung keine konkrete Gefährlichkeit aufweisen und sie ihre
Funktion unproblematisch erfüllen können, solange es nicht zu einem
Substanzeingriff kommt - man denke etwa an eine von Mauern umschlossene und
von außen nicht zugängliche Dämmschicht, die, solange die Umman-telung
aufrechterhalten wird, keine gefährlichen Stoffe diffundiert.
9 Vor diesem Hintergrund verbietet es sich nach Auffassung des Senats,
allein auf das abstrakte Gefährdungspotential abzustellen (so aber der Sache
nach LG Hannover MDR 1998, 1474 f.). Andererseits greift es zu kurz, einen
aufklärungspflichtigen Sachmangel erst bei Bestehen eines akuten
Sanierungsbedarfs anzunehmen (so aber OLG Celle OLGR 1996, 51; 2007, 461,
462; vgl. auch LG Magdeburg, Urt. v. 15. Januar 2002, 9 O 2665/01, Rdn. 16,
juris). Vielmehr ist von einem solchen Mangel erst, aber auch schon dann
auszugehen, wenn die ernsthafte Gefahr besteht, dass Stoffe mit einem
erheblichen gesundheitsgefährdenden Potential im Rahmen der üblichen Nutzung
des Kaufobjekts austreten. Dabei liegt eine erhebliche Einschränkung der
Nutzbarkeit eines Wohngebäudes auch dann vor, wenn übliche Umgestaltungs-,
Renovierungs- oder Umbaumaßnahmen nicht ohne gravierende Gesundheitsgefahren
vorgenommen werden können. Das gilt jedenfalls für solche Arbeiten, die
üblicherweise auch von Laien und nicht nur von mit dem Umgang gefährlicher
Baustoffe vertrauten Betrieben des Fachhandwerks vorgenommen werden. In
solchen Bereichen muss ein verständiger Verkäufer in Rechnung stellen, dass
Heimwerker mit gesundheitsgefährdenden Stoffen in Berührung kommen, ohne die
zur Abwehr von Gesundheitsgefahren notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, wenn
sie nicht wissen, dass die verbauten Materialien gefährliche Stoffe
enthalten.
10 b) Gemessen daran liegt auf der Grundlage des Vorbringens der Kläger,
wonach bei den von ihnen beabsichtigten Fassadenbohrungen zur Anbringung von
Außenlampen und einer Überdachung krebserregender Asbeststaub austritt, ein
aufklärungspflichtiger Sachmangel vor. Dass mit Bohrungen an der
Außenfassade eines Wohngebäudes auch durch Laien stets gerechnet werden muss,
liegt auf der Hand. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts schränkt
dies die Nutzbarkeit des Gebäudes zu Wohnzwecken in erheblicher Weise ein.
Denn die Nutzbarkeit eines Wohnhauses umfasst über das bloße Bewohnen hinaus
auch die Möglichkeit, jedenfalls im üblichen Umfang Umgestaltungen, bauliche
Veränderungen oder Renovierungen ohne gravierende Gesundheitsgefahren
vorzunehmen. Die von dem Berufungsgericht als streitig festgestellte
Behauptung der Kläger ist danach erheblich.
11 2. Durchgreifenden Bedenken begegnet auch die Annahme des
Berufungsgerichts, Ansprüche der Kläger wegen Verschuldens bei
Vertragsschluss (§ 280 i.V.m. § 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB) seien durch die
Vorschriften der §§ 434 ff. BGB ausgeschlossen.
12 a) Die Frage nach der Anwendbarkeit der genannten Anspruchsgrundlage ist
entscheidungserheblich, weil das Landgericht das Vorbringen der Kläger zu
einer arglistigen Täuschung durch aktives Tun zu Unrecht als nach §§ 296
Abs. 2, 282 Abs. 1 ZPO präkludiert angesehen hat und schon deshalb eine
Bindung der Rechtsmittelgerichte nach § 531 Abs. 1 ZPO ausscheidet.
Vorbringen im ersten Termin zur mündlichen Verhandlung unterliegt nicht der
Zurückweisung nach den Vorschriften der §§ 296 Abs. 2, 282 Abs. 1 ZPO (BGH,
Urt. v. 1. April 1992, VIII ZR 86/91, NJW 1992, 1965; Urt. v. 4. Mai 2005,
XII ZR 23/03, NJW-RR 2005, 1007). Ob das Landgericht die Zurückweisung
rechtsfehlerfrei auf § 296 Abs. 1 ZPO hätte stützen können, bedarf keiner
Entscheidung, weil das Rechtsmittelgericht die fehlerhafte
Präklusionsentschei-dung nicht auf eine andere rechtliche Grundlage stellen
darf (BGH, Urt. v. 13. Dezember 1989, VIII ZR 204/82, NJW 1990, 1302, 1304;
Urt. v. 1. April 1992, VIII ZR 86/91, NJW 1992, 1965; Urt. v. 4. Mai 2005,
XII ZR 23/03, NJW-RR 2005, 1007, 1008).
13 b) Ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen auf die Grundsätze des
Verschuldens bei Vertragsschluss (§ 280 i.V.m. § 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB) im
Sachbereich der §§ 434 ff. BGB zurückgegriffen werden darf, ist umstritten
und bislang nicht höchstrichterlich geklärt (vgl. auch
BGH, Urt. v. 17. Januar 2008, III ZR 224/06,
NJW-RR 2008, 564, 565).
14 aa) Teilweise wird vertreten, Ansprüche aus kaufrechtlicher
Gewährleistung und solche aus Verschulden bei Vertragsschluss bestünden
stets nebeneinander. Es handle sich um unterschiedliche Haftungssysteme, die
verschiedene Zwecke verfolgten und unterschiedliche Voraussetzungen hätten
(Bamberger/Roth/Faust, BGB, 2. Aufl., § 437 Rdn. 190; MünchKomm-BGB/
Emmerich, 5. Aufl., § 311 Rdn. 143; Emmerich, Das Recht der
Leistungsstörungen, 6. Aufl., § 7 Rdn. 35; Derleder, NJW 2004, 969, 974 f.;
Emmerich, FS Honsell, 209, 219 ff.; Häublein, NJW 2003, 388, 391 ff.;
Reischl, JuS 2003, 1076, 1079; vgl. Barnert, WM 2003, 416, 424 f.; Kindl, WM
2003, 409; Köndgen in Schulze/Schulte-Nölke [Hrsg.], Die Schuldrechtsreform
vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts, S. 231, 238 f.).
15 bb) Eine zweite Auffassung lehnt einen Rückgriff auf die Regeln des
Verschuldens bei Vertragsschluss nach Gefahrübergang stets ab, sofern es um
Verhaltenspflichten des Verkäufers im Zusammenhang mit der Beschaffenheit
der Kaufsache geht. Der Käufer sei durch das Gewährleistungsrecht der §§ 434
ff. BGB hinreichend geschützt. Das gelte auch bei vorsätzlichem Verhalten
des Verkäufers (AnwK-BGB/Krebs, § 311 Rdn. 76; Bamberger/Roth/ Grüneberg/Sutschet,
BGB, 2. Aufl., § 311 Rdn. 79; Erman/Kindl, BGB, 12. Aufl., § 311 Rdn. 45 f.;
Jauernig/Stadler, BGB, 12. Aufl., § 311 Rdn. 38; Palandt/Grüneberg, BGB, 68.
Aufl., § 311 Rdn. 14 f.; Palandt/Weidenkaff, aaO, § 437 Rdn. 51a f.; Roth,
JZ 2006, 1026; Schaub, AcP 202 [2002], 757, 782 f.; Schulze/Ebers, JuS 2004,
462, 463; vgl. PWW/Medicus, BGB, 3. Aufl., § 311 Rdn. 58 ff.; so wohl auch
Hk-BGB/Schulze, 5. Aufl., § 311 Rdn. 14; Staudinger/ Matusche-Beckmann, BGB
[2004], § 437 Rdn. 67 ff.).
16 cc) Die wohl herrschende Meinung erkennt zwar grundsätzlich einen
Vorrang des Gewährleistungsrechts nach Gefahrübergang an, lässt hiervon aber
Ausnahmen zu.
17 (1) Ein Teil der Lehre meint, bei vorsätzlichem Verhalten hafte der
Verkäufer auch aus Verschulden bei Vertragsschluss, weil der Verkäufer in
diesem Fall nicht schutzwürdig sei und kein berechtigtes Interesse an der
Möglichkeit der Nacherfüllung habe (Erman/Grunewald, aaO, vor § 437 Rdn.
15 ff.; Jauernig/Berger, aaO, § 437 Rdn. 34; jurisPK-BGB/Pammler, 4. Aufl.,
§ 437 Rdn. 57; MünchKomm-BGB/Westermann, 5. Aufl., § 437 Rdn. 58; PWW/D.
Schmidt, aaO, § 437 Rdn. 75; Huber in Huber/Faust,
Schuldrechtsmodernisierung, 14. Kap. Rdn. 29; Krüger in Krüger/Hertel, Der
Grundstückskauf, 9. Aufl., Rdn. 669; Oechsler, Vertragliche
Schuldverhältnisse, 2. Aufl., § 2 Rdn. 298; Reinicke/Tiedtke, Kaufrecht, 7.
Aufl., Rdn. 861; Berger, JZ 2004, 276, 282 Fn. 77; Huber, AcP 202 [2002],
179, 228 Fn. 165; Kulke, ZGS 2007, 89, 92; Lorenz, NJW 2006, 1925, 1926;
ders., NJW 2007, 1, 4; Müller, FS Hadding, 199, 205 ff.; Rösler, AcP 207
[2007], 564, 603; Schröcker, ZGR 2005, 63, 89 f.; vgl. auch OLG Hamm ZGS
2005, 315, 317).
18 (2) Teilweise wird eine weitere Ausnahme für den Fall
befürwortet, dass der Umstand, auf den sich das Verschulden des Verkäufers
bei dem Vertragsschluss bezieht, zwar zum Gegenstand einer
Beschaffenheitsvereinbarung hätte gemacht werden können, dies aber nicht
geschehen ist. Einem Käufer, der von dem Verkäufer irregeführt worden sei
und der deshalb keinen Anlass gehabt habe, eine Beschaffenheitsvereinbarung
zu treffen, könne der Anspruch aus Verschulden bei Vertragsschluss nicht
abgeschnitten werden (OLG Hamm ZGS 2005, 315, 317; MünchKomm-BGB/Westermann,
aaO, § 437 Rdn. 59; Musielak, Grundkurs BGB, 10. Aufl., Rdn. 620; Canaris in
E. Lorenz [Hrsg.], Karlsruher Forum, 2002: Schuldrechtsmodernisierung, S. 5,
89 f.; Grigoleit/Herresthal, JZ 2003, 118, 126; Mertens, AcP 203 [2003],
818, 839 f.; Schmidt-Räntsch, ZfIR 2004, 569, 572; Weiler, ZGS 2002, 249,
255; vgl. AnwK/Büdenbender, BGB, § 437 Rdn. 116; Rösler, AcP 207 [2007],
564, 603).
19 dd) Der Senat entscheidet die Rechtsfrage dahin, dass
nach Gefahrübergang zwar von einem grundsätzlichen Vorrang der §§ 434 ff.
BGB auszugehen ist, eine Ausnahme jedoch zumindest bei vorsätzlichem
Verhalten geboten ist.
20 (1) Das Gesetz enthält keine ausdrückliche Regelung der
Konkurrenzfrage. Der Gesetzgeber hat die Problematik zwar gesehen, sie aber
offenbar Rechtsprechung und Lehre zur Klärung überlassen (vgl.
BT-Drs. 14/6040 S. 161 f.).
Im Übrigen lässt sich den Materialien lediglich entnehmen, dass die
Heranziehung der Grundsätze über das Verschulden bei Vertragsschluss
zumindest beim Unternehmenskauf zugunsten der kaufrechtlichen Regelungen
zurückgedrängt werden sollte (aaO S. 242). Das spricht eher für als
gegen eine abschließende Sonderregelung durch die §§ 434 ff. BGB.
21 (2) Systematische und teleologische Erwägungen erhärten die Annahme einer
Sperrwirkung.
22 (a) Nach ständiger Rechtsprechung war das bis zum 31.
Dezember 2001 geltende Schuldrecht von einem grundsätzlichen Vorrang der
Bestimmungen der §§ 459 ff. BGB a.F. geprägt, der nur bei Vorsatz entfiel
(vgl. BGHZ 136, 102, 109; Senat, BGHZ 60, 319, 320 ff.; 114, 263, 266;
Urt. v. 10. Juli 1987, V ZR 236/85, NJW-RR 1988, 10, 11; Urt. v. 3. Juli
1992, V ZR 97/91, NJW 1992, 2564, 2566; Urt. v. 5. Oktober 2001, V ZR
275/00, NJW 2002, 208, 210). Zwar ist das für diese Lösung seinerzeit ins
Feld geführte Argument - die Beschränkung des § 463 BGB a.F. auf Vorsatz
dürfe über die Anwendung der Grundsätze des Verschuldens bei Vertragsschluss
nicht unterlaufen werden -, nunmehr obsolet geworden; das geltende Recht
billigt gewährleistungsrechtliche Schadensersatzansprüche nunmehr schon bei
Fahrlässigkeit zu (§§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1 Satz 2, 276 Abs. 1 Satz 1
BGB). Auch erscheint es zumindest zweifelhaft, ob die von der
regelmäßigen Verjährung nach §§ 195, 199 BGB abweichenden Verjährungsfristen
(§ 438 BGB) die Annahme einer Sperrwirkung stützen können, weil es für den
hier in Rede stehenden Sachbereich nahe liegen dürfte, § 438 BGB auf
Ansprüche aus Verschulden bei Vertragsschluss entsprechend anzuwenden
(vgl. auch Canaris, aaO S. 88; Krüger in Krüger/ Hertel, aaO, Rdn. 666).
Indessen bestehen auch hiervon abgesehen kaufrechtliche Besonderheiten, die
die Annahme einer Sperrwirkung gebieten. So steht dem Verkäufer
grundsätzlich das Recht zur Nacherfüllung zu (§ 439 BGB), und Ansprüche
wegen eines Mangels sind grundsätzlich schon bei grob fahrlässiger
Unkenntnis des Käufers ausgeschlossen (§ 442 Abs. 1 Satz 2 BGB). Diese
Sonderregelungen würden unterlaufen, wenn die Regeln über das Verschulden
bei Vertragsschluss daneben stets anwendbar wären. Der Gesetzgeber hätte in
sinnwidriger Weise etwas weithin Überflüssiges normiert. Davon kann nicht
ausgegangen werden.
23 (b) Der Annahme einer Sperrwirkung steht nicht entgegen, dass Ansprüche
aus Verschulden bei Vertragsschluss und solche aus § 437 BGB an
unterschiedliche Haftungsgrundlagen anknüpfen. Denn bei der gebotenen
teleologischen Betrachtungsweise ist nicht die formale Anknüpfung -
Verletzung vorvertraglicher (gesetzlicher) Verpflichtungen bei § 311 Abs. 2
Nr. 1 BGB, Mangelhaftigkeit der Sache bei § 437 BGB - von entscheidender
Bedeutung, sondern der Umstand, dass der Gesetzgeber die Verletzung
vorvertraglicher Verpflichtungen im Zusammenhang mit der Beschaffenheit der
Kaufsache dem späteren Vertrag zuordnet (vgl. Schmidt-Räntsch, ZfIR 2004,
569, 571). Es unterliegt nämlich keinem Zweifel, dass
Schadensersatzansprüche wegen Lieferung einer anfänglich mangelbehafteten
Sache, die an einen vor Abschluss der Vertrages liegenden Umstand anknüpfen
(§ 311a Abs. 2 BGB), nach § 438 BGB verjähren (vgl. nur Schmidt-Räntsch,
aaO). Für behebbare Mängel, die sich auf ein anfängliches Leistungshindernis
gründen, kann nichts anderes gelten. Auf die Beschaffenheit der Sache
bezogene Aufklärungspflichten sind daher in dem einen wie in dem anderen
Fall grundsätzlich dem vertraglichen Regime unterworfen.
24 (3) Allerdings besteht der Vorrang der kaufrechtlichen Regelungen nicht
ausnahmslos. Auch unter der Geltung des neuen Schuldrechts ist eine
Ausnahme jedenfalls bei arglistigem (vorsätzlichem) Verhalten des Verkäufers
gerechtfertigt. Kaufrechtliche Sonderregelungen, die umgangen werden
könnten, greifen dann nämlich nicht ein. Die Verjährung richtet sich bei
Arglist nach der regelmäßigen Verjährungsfrist (§ 438 Abs. 3 Satz 1
BGB). Der Verkäufer kann sich auf einen Haftungsausschluss nicht berufen
(§ 444 BGB). Er haftet auch bei grob fahrlässiger Unkenntnis des
Käufers (§ 442 Abs. 1 Satz 2 BGB) und verliert im Regelfall die
Möglichkeit der Nacherfüllung (Senat, Beschl. v.
8. Dezember 2006, V ZR 249/05, NJW 2007, 835, 837;
BGH, Urt. v. 9. Januar 2008, VIII ZR 210/06, NJW
2008, 1371, 1373). Auch nach neuem Schuldrecht ist der arglistig
handelnde Verkäufer nicht schutzbedürftig (vgl. auch Senat,
BGHZ 167, 19, 24).
25 3. Nach allem ist das Berufungsurteil aufzuheben (§ 562
Abs. 1 ZPO). Die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, weil
die für eine abschließende Entscheidung erforderlichen Feststellungen noch
getroffen werden müssen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Die Haftung wegen
Verschuldens bei Vertragsschluss hängt davon ab, ob die Kläger aktiv
getäuscht worden sind, diejenige aus §§ 437 Nr. 3, 280, 281 BGB zunächst von
dem Vorliegen eines aufklärungspflichtigen Sachmangels, der auf der
Grundlage des - jedenfalls in dem Berufungsurteil als streitig dargestellten
- tatsächlichen Vorbringens der Kläger zu bejahen ist. Mit Blick auf die
erforderlichen Feststellungen zur Arglist (allgemein zu den Anforderungen
etwa Senat, Beschl. v. 8. Dezember 2006, V ZR 249/05, NJW 2007, 835, 836
m.w.N.) weist der Senat darauf hin, dass Fragen des Vertragspartners
vollständig und richtig beantwortet werden müssen (vgl. nur BGHZ 74,
383, 392; BGH, Urt. v. 14. Januar 1993, IX ZR 206/91, NJW 1993, 1323, 1324).
Allerdings wären Schadensersatzansprüche zu verneinen, wenn den Klägern die
Verwendung von Asbest bekannt gewesen sein sollte. Grob fahrlässige
Unkenntnis schadete dagegen nicht. Dies folgt für beide Anspruchsgrundlagen
aus § 442 Abs. 1 BGB. Mit Blick auf die Haftung wegen Verschuldens bei
Vertragsschluss liegt jedenfalls bei arglistigen Täuschungen, die sich auf
die Beschaffenheit der Sache beziehen, eine planwidrige Gesetzeslücke vor,
die durch eine entsprechende Anwendung der Vorschrift zu schließen ist. |